Ildefons Maria Fux: Die Heilige Birgitta Von Schweden

Hinweis/Quelle: Vortrag, gehalten am 15. März 2000 in Maria Dreieichen Von P. Dr. Ildefons Fux OSB, Neulengbach im Rahmen des Initiativkreises St. Pölten

Am 1. Oktober 1999 hat der Heilige Vater die hl. Birgitta zur Mitpatronin Europas ernannt, gemeinsam mit der hl. Katharina von Siena und der hl. Edith Stein. Im Motuproprio, das mit den Worten beginnt: “Die Hoffnung auf den Aufbau einer gerechteren und menschenwürdigeren Welt...”, betont Johannes Paul II., daß die Gnade auch heute unverzichtbar notwendig sei. Wenn nicht der Herr das Haus Europas baut... (vgl. Ps 127,1). Es gelte, ein trauriges Erbe zu beseitigen, und das könne nur geschehen, wenn man auf die Reichtümer der Geschichte zurückgreife. Ganz Europa und jeder einzelne Europäer müsse versuchen, die lange Geschichte der Heiligkeit fortzuführen (n.1). Die Kirche erkennt in ihrer Geschichte eine “Schatz der Heiligkeit”, der zu ihrem Geheimnis gehört und zugleich “die Hoffnung ihrer Zukunft ist” (n.2). Die Kirche habe in ihrer Geschichte aber auch einen Reifungsprozeß durchlaufen und erfasse heute den “Plan, den Gott für die Frau hat”, besser als früher. So sei es verständlich, daß sie in der Gegenwart eine Option für die Heiligkeit “mit weiblichem Antlitz” habe (n.3).

Was nun die hl. Birgitta im besonderen betreffe, so können sich mit ihr nicht nur Personen des geweihten Lebens identifizieren, sondern auch alle, die sich um die Heiligung ihres Familienlebens bemühen. Denn Birgitta, “eine vorbildliche christliche Gattin”, gehörte in ihrer ersten Lebenshälfte dem Laienstand an und war glücklich verheiratet (n.4). Sie habe sicher und entschlossen zu Fürsten und Päpsten gesprochen und der Kirche in einer äußerst kritischen Phase ihrer Geschichte die größten Dienste erwiesen. Schließlich sei sie seit dem 16. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag zu einem wertvollen ökumenischen Band zwischen Katholiken und Lutheranern geworden (n.5)

Der Kontext des 14. Jahrhunderts

Die Eckdaten der Lebensgeschichte Birgittas – sie ist 1303 in Finsta, Provinz Uppland in Schweden, geboren und stirbt 1373 in Rom –, signalisieren, daß sich ihre Lebenszeit mit einem Dreiviertel des 14. Jahrhunderts deckt. Ihre Zeitgenossen sind die großen Dominikanermystiker des südwestdeutschen Raumes: Meister Eckhart (+1327), Johannes Tauler (+1361) und Heinrich Seuse (+1366), aber auch die Mystikerinnen des Predigerordens im Konvent von Unterlinden in Colmar, im Kloster von Töß und in jenem von Engeltal. In Flandern lebt zur selben Zeit der Mystiker Jan van Ruusbroec (1293–1381). 1347, zwei Jahre vor der Übersiedlung Birgittas nach Rom, werden zwei Heilige geboren, die in Lebenstil und Sendung mit der Prophetin aus dem Norden verwandt sind: Katharina von Siena (+1380) und Dorothea von Montau (+1394).

Kirchenpolitisch ist das Jahrhundert gezeichnet vom Aufenthalt der Päpste in Avignon (1309–1378) und vom Ausbruch des unseligen Abendländischen Schismas 1378, das bis 1417 währen sollte. 1339 nimmt der Krieg zwischen Frankreich und England seinen Anfang, der als Hundertjähriger Krieg in die Geschichte eingehen sollte. Im Herzogtum Österreich wirkt Rudolf IV. der Stifter, der 1365 die Wiener Universität begründet hat.

In der Geschichte der Frömmigkeit zeigen sich im 14. Jh. einige charakteristische Tendenzen: Es gibt einen Zug hin zum Quantitativen – “man muß soundsoviele tausend Paternoster sprechen, soundsoviele tausend Messen für einen Verstorbenen zelebrieren lassen, um soundsoviele tausend Jahre Fegefeuer zu sparen” (Dinzelbacher); man zählt die Wunden, die Christus während seiner Passion zugefügt worden sind und kommt auf die Zahl 5460, man glaubt auch zu wissen, daß Jesus während seines irdischen Lebens 61.362 Tropfen Blut vergossen hat.

Es gibt ferner einen Zug hin zum Visuellen, zum Schauen und Anschauen. Die Priester erheben und zeigen die konsekrierte Hostie bei der Wandlung, die Monstranz wird nun durchwegs üblich, die Reliquiare, vordem geschlossene Behältnisse, werden nun zu Ostensorien, die ihren Inhalt nicht mehr nur bergen (und verbergen), sondern sichtbar machen wollen: Viele können und sollen nun möglichst gut schauen und Nahrung für ihre Frömmigkeit empfangen.

In einem zuvor noch nie dagewesenen Ausmaß widmen sich die Frommen auch der Meditation des Leidens Christi. Die Mystik ist vor allem Passionsmystik und bezeugt das Streben nach der Vereinigung mit dem Blutbräutigam: “Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt” (Gal 5,24). Die Askesepraktiken der Zeit sind von einer unvorstellbaren Strenge und Grausamkeit, um sich eben ganz mit Christus am Kreuz identifizieren zu können. “Ich bin mit Christus gekreuzigt worden. Christo confixus sum cruci” (Gal 2,19). Die Darstellungen des Leidensheilands in der bildenden Kunst erreichen einen letzten Realismus. Der Dolorismus, der um viele, in den Evangelien nicht verbürgte Einzelheiten aus der Leidensgeschichte Christi weiß, sucht in der Süße des Schmerzes zu verweilen und am Leiden des Herrn aus Liebe teilzuhaben. Er liebt das Drastische.

In diesem 14. Jahrhundert ist aber auch der Tod allgegenwärtig geworden. Der Tod wird nun geradezu personifiziert, der Sensenmann tritt in der Literatur und in der Kunst als Person auf, man lebt mit dem Schnitter, von dem man nicht weiß, zu welcher Stunde er bei einem tätig sein wird. Europa wird ja um die Mitte dieses Jahrhunderts von mehreren Pestwellen heimgesucht, die die Bevölkerung des Abendlandes um etwa ein Drittel dezimieren. Die Sorge um einen “guten Tod”, die vermehrte Aufmerksamkeit den Letzten Dingen gegenüber, ist eine verständliche Folge; eine apokalyptische Grundstimmung hatte weiteste Kreise erfaßt. Der “Ars moriendi”, der Kunst gut zu sterben, gilt das Interesse...

In diesen Rahmenbedingungen vollzieht sich das Leben Birgittas; es wird von ihnen beeinflußt, ohne sich aber von ihnen restlos erklären zu lassen. Birgitta ist nicht einfach das Produkt ihrer Zeit; als von Gott Gesandte überragt sie ihr Jahrhundert. Sie ausschließlich aus ihrer Zeit verstehen zu wollen, scheitert am Geheimnis ihrer Erwählung.

Das Leben Birgittas im Grundriss

Die hl. Birgitta ist 1303 in Finsta geboren und setzt gewissermaßen die Lebenslinie der hl. Gertrud von Helfta fort, wenn auch in anderer Weise. Gertrud verstarb 1302.

Birgitta entstammt nordgermanischem Hochadel und ist durch ihre Mutter Ingeborg mit dem schwedischen Königshaus verwandt. Ihr Vater Birger ist Lagmann von Uppland, vergleichbar etwa einem Landeshauptmann der Gegenwart, und steht an der Spitze der Verwaltung und der Rechtssprechung. Als Ingeborg mit Birgitta gesegneten Leibes war, geriet sie auf einer Reise in eine gefährliche Situation: das Fährschiff kenterte, und viele ertranken. Damals sprach Christus zu ihr:

Ingeborg, wisse, daß du aus dem Schiffbruch errettet worden bist wegen der einzigartigen Verdienste jenes Geschöpfes, das du in deinem Schoß trägst. Erziehe es mit Vorsicht...!

Einem frommen Priester wurde im Gebet und unmittelbar vor der Geburt mitgeteilt:

Dem Birger wird heute Nacht eine Tochter geboren, deren mächtige Stimme von der ganzen Welt gehört werden wird.

Sie wächst im elterlichen Haus auf und wird standesgemäß erzogen. Im Alter von 11 Jahren, in der Fastenzeit 1314, hört sie die Passionspredigten eines Dominikaners. In der Nacht sieht sie dann Christus am Kreuz und hört seine Klage: So wurde ich behandelt. Von diesem Tag an konnte Birgitta kaum noch an die Passion Christi denken, ohne zu weinen. So bekannte es auch der junge Francesco Bernardone, als er weinend die Wälder um Portiuncola durchstreifte: Ich weine über das Leiden meines Herrn Jesus Christus.

Im September dieses Jahres stirbt ihre Mutter eines heiligmäßigen Todes, und Birgitta übersiedelt an den Landsitz ihrer Tante und Patin Karin in Aspanäs, die den Verlust der Mutter freilich nicht ersetzen wird. Birgitta ist von kleiner, zierlicher Gestalt und hat freundliche Gesichtszüge. “Sie muß schön gewesen sein”, sagt ein Birgitta-Forscher der Gegenwart (Sven Stolpe 87), keineswegs derb oder grobschlächtig, wie es eine dem 15. Jahrhundert entstammende Holzplastik in Vadstena nahelegen würde.

Bald darauf, im September 1316, wird Birgitta mit Ulf Gudmarsson verheiratet; eine Adelshochzeit, und Birgitta ist 14 Jahre alt. Dazu ein paar Bemerkungen.

Diese Ehe war eine glückliche Ehe und währte 28 Jahre lang. Birgitta schenkte ihrem Gatten, der ebenfalls Lagmann werden sollte, und zwar in Närke, und bei der Heirat erst 18 Lebensjahre zählte, 8 Kinder. Sie erlebte Freud und Leid einer christlichen Mutter: Ihre Tochter Katharina (Karin) wird ihr in der Heiligkeit nachfolgen. Es gab da aber in der Familie auch ein großes Sorgenkind, nämlich ihren Sohn Karl, der allzu leichtfertig lebte und sich später mit Johanna, der Königin von Neapel, einlassen sollte. In einer Offenbarung wird er “Sohn der Tränen” genannt, gerettet durch die Buße seiner Mutter. Deren Gatte Ulf, 1344 als Zisterziensernovize in Alvastra verstorben, wird in Schweden als Seliger verehrt.

Die für unsere Begriffe allzu frühe Eheschließung erklärt sich aus den Gewohnheiten der Zeit, schließlich trat auch die hl. Elisabeth von Thüringen bereits mit 14 Jahren in den Ehestand, und die Ehen zu schließen, war insbesondere in Adelskreisen Sache der Eltern. So hebt denn auch die älteste Vita der hl. Birgitta hervor, daß sie nicht voluptatis, sed paternae voluntatis causa vermählt worden sei, nicht der Begierde, sondern dem väterlichen Willen Folge leistend. “Gehorsam schien ihr wichtiger als Jungfräulichkeit” (G. Kranz), doch beschlossen die beiden Ehegatten, im ersten Jahr ihrer Ehe Enthaltsamkeit zu beobachten.

Birgitta war als Frau keineswegs unempfindlich und wird später sogar einmal gestehen, die Lust des Fleisches geliebt zu haben. Im Wissen um erbsündliche Schwäche bekennt sie:

Wenn ich mich nicht auf Deine Hilfe stütze, kann ich mich selbst nicht regieren. Denn mein Leib ist wie ein ungebärdiges Füllen, das zügellos läuft, wohin es Lust hat. Und mein Wille ist wie ein wilder Vogel, der dauernd flüchten will ...

Es gibt in den birgittinischen Offenbarungen Andeutungen dafür, daß auch die spätere Heilige eine Bekehrung durchzumachen hatte, eine Abkehr von Sinnlichkeit, Wohlleben und Eitelkeit. Ihr Verhältnis zur Geschlechtskraft ist ambivalent, sie fürchtet die Hemmungslosigkeit. Das erklärt zum Teil auch ihr energisches Apostolat an den Prostituierten, die sie u.a. in den Bordellen von Stockholm (später auch in Rom) zu überreden suchte, diese Orte der Sünde zu verlassen. Wenn ihr dies gelang, nahm sie diese Frauen mit an ihren eigenen Wohnsitz in Ulvåsa, wo sie eine Zeitlang in einem besonderen Gastheim verweilten und Unterricht in Religion und Moral erhielten, um schließlich mit ehrenhaften Männern verheiratet zu werden, falls sie sich nicht zum Eintritt in ein Kloster entschließen konnten.

Beide Gatten waren aber durchaus der jenseitigen Welt, der himmlischen Heimat zugewandt (vgl. Phil 3,20). Die Sehnsucht, dem Herrn im jungfräulichen Stand zu dienen, blieb Birgitta auch während ihrer glücklichen Ehe erhalten, wie sich ja Ähnliches für die hl. Elisabeth belegen läßt. Einmal erschien Maria dieser hl. Familienmutter, um sie aufzufordern: Sorge, daß diese deine Kinder auch meine Kinder werden! Birgitta war darum bemüht. Als ihre Tochter Ingeborg um 1350 als Zisterzienserin des Klosters Risaberg früh verstarb – d.h. im Alter von 18 Jahren –, weinte die Mutter sehr, aber nicht aus Trauer über den Verlust dieses ihres Kindes, sondern

weil ich sie nicht genug nach Deinen Geboten [sie spricht zu Christus] unterwiesen und weil ich ihr das Beispiel der Hoffart vorgelebt habe und sie, wenn sie sich einmal verfehlte, zu wenig gestraft habe.

Birgitta lebte auch von Anfang an der Caritas; Wir müssen geben, solange wir haben; denn auch wir haben einen großmütigen Geber. So speiste sie täglich 12 Arme, stiftete ein Spital und pflegte mit eigener Hand die Kranken. Sie erbaute Kirchen wie etwa die Holzkirche von Ulvåsa. Ihre Freigebigkeit war schließlich von einer Art, daß sie ihr Vorhaltungen von seiten des Verwalters eintrug: Ihre Maßlosigkeit sei wirtschaftlich nicht mehr tragbar...

Birgittas pädagogische Fähigkeiten fanden aber allgemeine Anerkennung, ebenso ihre weltgewandten Umgangsformen, was daraus erhellt, daß sie 1335 von König Magnus II. Erikson nach Stockholm gerufen wurde, um als Oberhofmeisterin und Erzieherin am königlichen Hof zu wirken. Der König, ihr Cousin, war mit einer flandrischen Prinzessin, Blanche von Namur, verheiratet, von der es heißt, sie wäre “unersättlich nach rauschenden Festen” gewesen und habe den König, dieses Kind auf dem Thron, “von einem Exzeß zum anderen” getrieben. So sah sich Birgitta nicht nur einmal veranlaßt, prophetisch aufzutreten und eindringlich zu warnen, wobei sie sich auf himmlische Stimmen berief: Der Reichtum ist eine Last, die Ehre der Welt wie Luft und die Fleischeslust ein Traum. Sie war in solchen Stunden nicht mehr Hofdame, nicht mehr Verwandte, sondern erschien wie ein weiblicher Johannes der Täufer im schäbigen Bußkleid vor dem König und seinen Großen, um eine Buß- und Strafpredigt apokalyptischen Zuschnitts zu halten. Sie war unerschrocken, in völliger Rück-sichtslosigkeit sich selbst gegenüber.

Immerhin: 1348 überflutete eine Pestwelle ganz Europa; König Magnus verlor durch einen Adelsaufstand den Thron und lag 7 Jahre lang im Kerker. Seine Gemahlin Blanche wurde vergiftet.

Doch noch bevor all dies eintraf, verließ die Heilige Stockholm nach nur fünfjähriger Tätigkeit.

Die Pilgerin

Als der Termin ihrer Silberhochzeit nahte – im September 1341 –, beschlossen Ulf Gudmarsson und seine Gattin Birgitta, die Wallfahrt nach Santiago de Compostela im fernen Spanien zu unternehmen, nachdem sie schon 1338 das Grab des hl. Königs und Märtyrers Olaf in Drontheim aufgesucht hatten – zu Fuß und unter all den Entbehrungen, die ein Wallfahrt der damaligen Zeit mit sich brachte. Sehr wahrscheinlich lebten die beiden Gatten während dieses Pilgerns in völliger Enthaltsamkeit. Von ihrem Aufenthalt in Santiago wissen wir, daß Birgitta hier eine Handschrift erwarb, die sie nunmehr immer bei sich führte: den “Liber de modo bene vivendi” (Über die Art, gut zu leben), dem hl. Bernhard zugeschrieben. Bei der Rückreise quer durch Frankreich erfuhren die beiden Pilger sicher von den Greueln des 100jährigen Krieges, der 1339 ausgebrochen war; sie wurden ebenso mit der “babylonischen Gefangenschaft” der Päpste in Avignon konfrontiert und konnten auch Informationen über die Einrichtung der Doppelklöster erhalten, wie sie nach der Art von Fontevrault im Lande bestanden. Auf dieser Heimreise entschloß sich Ulf, in das Zisterzienserkloster Alvastra in seiner schwedischen Heimat einzutreten, was er auch tatsächlich tat, aber schon 1344 verstarb.

Die Witwe richtete sich nun im Gästehaus dieser Mönchsgemeinde ein bescheidenes Domizilium ein und trennte sich von allem irdischen Besitz, legte ihre standesgemäßen Kleider und ihren Schmuck ab und zog ein Bußkleid an.

Als ich meinen Gemahl begrub, habe ich mit ihm alle irdische Liebe begraben. Obwohl ich ihn wie mein eigenes Herz geliebt habe, möchte ich ihn doch nicht gegen den Willen Gottes zum Leben zurückkaufen...

Sie fastete 4 x in der Woche und schlief auf einem Teppich, den sie auf dem Boden ausgebreitet hatte, in einem ungeheizten Raum. Und all dies bei der außerge-wöhnlichen Länge und Strenge des Winters in Schweden.

In dieser Zeit erlebt sie ihre Berufungsvision. Christus wendet sich an sie mit den Worten:

Frau, höre mich! Ich bin dein Gott und will mit dir reden. (...) Fürchte dich nicht! Denn ich bin der Schöpfer aller Dinge (...) Ich habe dich erwählt und zu Meiner Braut angenommen, um dir Meine Geheimnisse zu zeigen (...) Du wirst Meine Braut und Mein Mund sein, Du wirst geistliche Dinge hören und sehen, und Mein Geist wird bei dir bleiben bis zum Tode.

Sie bittet um Hilfe, um alle Wünsche und Aufträge des Herrn erfüllen und ausführen zu können.

Meine Tochter, wie Wachs in ein Siegel eingedrückt wird, so wird deine Seele in den Heiligen Geist eingedrückt werden, so daß nach deinem Tod viele sagen werden: Seht, wie der Heilige Geist mit ihr gewesen ist.

Zugleich wird sie auf ihren Beichtvater und Seelenführer Mag. Matthias verwiesen und zum Gehorsam ihm gegenüber verpflichtet. In dieser Zeit, da auch ihr Sohn Bengt (=Benedikt), der zum Zisterzienser berufen schien, auf den Tod erkrankte, sollen die berühmten 15 Gebete Birgittas zu Ehren der Wunden Christi entstanden sein (1344).

Im Frühling 1346 erhielt die Witwe in einer Ekstase den Auftrag zur Gründung eines neuen Ordens, des “Ordens des Allerheiligsten Erlösers”, der sein Stammkloster in Vadstena am Vätternsee haben sollte und in der Form der Doppelklöster – Männer und Frauen in strenger Trennung, aber eine einzige gottgeweihte Gemeinschaft unter der Leitung einer Äbtissin bildend – konzipiert war. Ein zweiter Auftrag, den Christus ihr erteilt, ist nicht weniger schwindelerregend: Sie soll sich in einem Brief an Papst Clemens VI. (1342–1352) in Avignon wenden und ihn eindringlich mahnen, seine ungeistliche Lebensführung aufzugeben, nach Rom zurückzukehren und ein Jubeljahr zu verkünden. Bischof Hemming von Åbo in Finnland und Petrus Olafsson, Subprior in Alvastra, überbrachten das Schreiben nach Avignon. Doch der Papst wollte nicht hören. Lediglich dem Wunsch nach Ausrufung eines Heiligen Jahres entsprach er.

In der Folge ist Birgitta in Alvastra mit der Niederschrift der Ordensregel beschäftigt, von der sie später sagen wird, Christus habe sie ihr diktiert. Sie bedient sich dabei des Petrus Olafsson als Sekretär und macht sich dessen Lateinkenntnisse zunutze.

Da erhält sie von Jesus den Auftrag, nach Rom zu gehen:

Geh nach Rom und bleibe daselbst, bis du den Papst und den Kaiser gesehen hast, und rede mit ihnen jene Worte, die Ich dir eingeben werde!

Die kleine schwedische Pilgergruppe erreicht zu Ende des Jahres 1349 die Ewige Stadt.Die Hoffnung Birgittas, der Papst werde in Rom die Ordensregel bestätigen, erfüllte sich nicht; der Papst blieb in Avignon.

Zustände in Rom

Zeitgenossen berichten, Birgitta habe sich gegen alle sanft und freundlich betragen und stets ein lächelndes Gesicht gezeigt. Dabei hatte sie aber rasch die wahre Situation der Stadt und der Kirche erfaßt und scheute sich nicht, in einer letzten Offenheit und Härte das Böse beim Namen zu nennen. Mit dem Instrumentarium eines alttestamentlichen Propheten und durchdrungen vom timor Domini, von der Furcht des Herrn, geißelte sie den Klerus. Viele Kirchen waren verfallen, vor verödeten Altären weideten Ziegen im Gras; so in St. Peter und in der Lateranbasilika. Viele Heiligtümer hatten sich bei zerstörten Dächern und abgerissenen Türschlössern in Aborte der Menschen, der Hunde und Bestien verwandelt. Massen von Armen lungerten auf den Plätzen der Stadt. Alles atmete Krieg, Feindschaft und gehässige Leidenschaften, schrieb Francesco Petrarca (1304–1374):

Die Häuser liegen nieder, die Mauern fallen, die Tempel stürzen, die Heiligtümer gehen unter, die Gesetze werden mit Füßen getreten. Der Lateran liegt am Boden, und die Mutter aller Kirchen steht ohne Dach dem Winde und dem Regen offen. Die heiligen Gräber der Apostel Petrus und Paulus wanken, und was der Tempel der Apostel war, ist ein gestaltloser Trümmerhaufen, selbst steinerne Herzen zum Mitleid rührend.

Der päpstliche Legat trug stets, wenn er das Haus verließ, einen Panzer unter seinem geistlichen Gewand. Pilger wurden beraubt, Mädchen geschändet. In einem Brief schreibt die Seherin aus Schweden:

Priester, Diakone und Subdiakone (...) freuen sich offen darüber, daß ihre Konkubinen mit schwellendem Mutterleib unter anderen Frauen gesehen werden (...)

Klöster zu besuchen, ist jetzt eine Qual, denn man sieht zu den Gottesdienstzeiten nur sehr wenige oder überhaupt keine Mönche im Chor... An manchen Tagen gibt es keine Messe... Viele Mönche haben eigene Häuser in der Stadt... Man kann bei ihnen kaum ein einziges Kleidungsstück finden, das ihren Stand andeutet... Die Nonnenklöster halten sogar in den Nächten ihre Tore offen, weshalb sie mehr Bordellen gleichen... Wenn die Beichtväter mit dem Mund die Absolution erteilen, schämen sie sich nicht, mit ihren Händen Geld in die Börse zu stopfen...

Es ist zu fürchten, daß der katholische Glaube bald untergeht...

Ein Erzbischof, bedrückt von den zahllosen und offenen Verfehlungen gegen das zölibatäre Leben, hatte gemeint, es wäre vielleicht doch besser, den Priestern, die es wünschten, die Heirat zu erlauben, um so die Menge der Skandale aus der Welt zu schaffen. Und wenn er der Papst wäre, würde er den Zölibat als Verpflichtung aufheben. Da habe die Allerseligste Jungfrau Maria ihrer Tochter Birgitta geoffenbart, was mit einem solchen Papst geschehen würde, nämlich dasselbe, was jenen Delinquenten geschehe, denen die Gerichtsknechte die Augen ausstechen, die Zunge, die Nase und die Ohren abschneiden, denen man Hände und Füße abschlage. Ein solcher Papst würde

geistlicherweise seines Augenlichts und Gehörs, seiner Sprech- und Wirkfähigkeit von Gott ganz und gar beraubt, seine ganze geistliche Weisheit würde total erstarren, seine Seele aber würde nach seinem Tode zur ewigen Pein in die Hölle verstoßen, um dort auf ewig eine Speise der Dämonen zu sein.

Jene Priester, die ihr Leben nicht bessern wollen, soll man verjagen,

weil es Gott lieber ist, daß an einem solchen Ort gar keine Messe gefeiert wird, als daß der Leib des Gottessohnes durch Hurenhände berührt wird.

Noch im Jubeljahr 1350 erteilt Christus Birgitta den Auftrag, eine Benediktinerabtei zu besuchen: Geh hin nach Farfa! Es ist dir dort eine Kammer zubereitet! Dort hat man sie nur höchst unwillig aufgenommen. Maria aber offenbarte ihr den Seelenzustand des Abtes: Er feiere nur selten die hl. Messe, kleide sich in Zivil, sein Herz folge der Augen- und Fleischeslust und sei von der Hoffart des Lebens erfüllt. Ihre prophetische Mahnrede wurde nicht angenommen; der Abt verstarb bald darauf, ohne noch die Sakramente empfangen zu haben. In Farfa traf Birgitta mit ihrer Tochter Karin zusammen, die ihr von Schweden her nachgereist war und nun bis zu ihrem Tode bei ihr bleiben sollte. Die Tochter, später selbst als Heilige verehrt, war für die Mutter eine Quelle des Trostes, aber auch die Ursache mancher Sorge, denn sie war jung und schön, was im verwilderten Italien des 14. Jahrhunderts keineswegs von Vorteil war und manch schwierige Situation zur Folge hatte.

Am Franziskusfest des Jahres 1351 erschien Birgitta, die bald nach ihrer Vermählung gemeinsam mit ihrem Gatten dem III. Orden beigetreten war, der seraphische Heilige und forderte sie auf: Komm in meine Zelle, um dort zu essen und zu trinken! Birgitta verstand dies als Weisung, nach Assisi zu pilgern. Diese Wallfahrt unternahm sie im Sommer 1352 und erfuhr dann an Ort und Stelle die Interpretation der Einladung durch den hl. Franz selbst:

Die Zelle, die ich gemeint habe, ist (...) der wahre Gehorsam, den ich immer gehalten habe, so daß ich nie ohne einen geistlichen Lehrer sein wollte (...) Meine Speise aber (...) war dies, daß ich meine Nächsten von den Eitelkeiten eines weltlichen Lebens gern weggezogen habe (...) Mein Trank aber war die Freude, die ich empfand, wenn ich sah, daß gar manche durch mich Bekehrte mit allen Kräften begannen, Gott zu lieben (...) – Geh also in meine Zelle!”

Wir glauben, daß sich in diesen Worten des hl. Franziskus auch die Seele der hl. Birgitta ausgesprochen hat: Die gehorsame Tochter der Kirche lebt vom Apostolat, das zur Absonderung von der Welt auffordert, um die Liebe zu Gott zu entfachen. Und wo dies tatsächlich geschieht, beobachtet es die Heilige mit der ganzen Freude ihrer Seele.

Der mittelalterliche Christ versteht sich vorrangig als Pilger zur Ewigkeit. “Wir sind nur Gast auf Erden”, und auch Birgitta war eine unermüdliche Pilgerin. Kaum ein Wallfahrtsort Italiens, den sie in der Folge nicht aufgesucht hätte: Wir finden sie in Ortona (hl. Apostel Thomas), am Monte Gargano (Erzengel Michael, 492/94), in Bari (hl. Nikolaus), in Benevent (hl. Apostel Bartholomäus), in Salerno (hl. Matthäus), wo sie auch am Grab des hl. Papstes Gregor VII. (+1085) betete. Ihre Wertschätzung der Reliquien findet übernatürliche Bestätigung, da der Herr zu ihr spricht:

Die Leiber meiner Heiligen, mögen sie nun verwest sein oder unverwest geblieben sein, sind fürwahr Mein Schatz...

Höchste Anziehungskraft auf den Homo viator des Mittelalters hat aber die Wallfahrt in das Heilige Land ausgeübt, die die hl. Birgitta dann auch selbst, bereits in vorgerücktem Alter und wenig vor ihrem Tod, unternommen hat, im Jahr 1372. In Betlehem und in der Grabeskirche zu Jerusalem wird sie mit umfangreichen Visionen und Auditionen begnadet, die sie niederschreibt und so eine Fülle von Details vermittelt, die in den Evangeliumsberichten fehlen. Ihre Schilderung der Geburt Christi wird in der Folge der bildenden Kunst viele Anregungen liefern. Maria und Christus selbst erzählen ausführlich die Geschehnisse des Karfreitags.

Nachdem sie sich in apostolischem Einsatz um die Bekehrung der lasterhaften Städte Famagusta auf Zypern und Neapel bemüht hatte, war sie in der Fastenzeit 1373 wieder in Rom.

Noch in Neapel erhielt sie eine Botschaft Christi, die Papst Gregor XI. (1370–1378), der noch immer in Avignon residierte, zugedacht war. Diese Botschaft legt sie in einem Brief nieder, den Bischof Alfonso de Vadaterra überbringt. Da sagt Christus zu seinem Stellvertreter auf Erden:

Vernimm, Papst Gregor XI. die Worte (...) Warum haßt du mich? (...) Was habe ich dir nur getan, Gregorius? (...) Weshalb läßt du zu, daß an deinem Hof höchste Hoffart, unersättliche Gier und Schwelgerei (...) und dazu noch ärgste (...) Simonie herrschen? (...) Du raubst mir zahllose Seelen (...) (Komm) so schnell als möglich nach Rom (...) Komm nicht mit der gewohnten Hoffart und weltlichen Pracht, sondern mit Demut und warmherziger Liebe! (...) Fang an, Meine Kirche zu erneuern (...) Denn jetzt wird ein Freudenhaus mehr in Ehren gehalten als die heilige Mutter Kirche (...) Kehre in Demut um zu Mir (...) Betritt also mannhaft den Weg der Gerechtigkeit (...) Verachte den nicht, der dich liebt! (...) Ich werde dich dann mit Mir selbst einkleiden, so daß du in Mir sein wirst und Ich in dir ...

Wer darf eine solche Sprache führen? Es spricht für Gregor XI., der dann 1377 tatsächlich nach Rom zurückkehren sollte, daß er Birgitta nicht den Ketzerprozeß machen ließ und daß er das am 25. August 1376 offiziell in Neapel durch Erzbischof Bernardo eröffnete Kanonisationsverfahren nicht unterband.

Schon in Jerusalem hatte sich Birgitta ein Fieber zugezogen, das nicht mehr von ihr weichen und sich im Sommer 1873 zu ihrer Todeskrankheit ausweiten sollte. Maria tröstet sie auf dem Krankenlager mit den Worten: Du (...) wirst starke, gesunde und gottergebene Kinder gebären... Birgittas letzte Worte zu ihrer Tochter Katharina lauteten: Geduld und Schweigen! Sie verstarb am 23. Juli nach dem Empfang der hl. Kommunion.

Es ist von tiefer, symbolhafter Bedeutung, daß die Heilige ihr Leben während der hl. Messe beschloß. Ihr Lebensopfer war nun endgültig in das Opfer Christi auf-genommen worden. Äußerlich besehen, hat ihr Kämpfen kaum dauerhafte Erfolge aufzuweisen, doch “Erfolg” ist kein Name des Evangeliums. In der Schrift heißt es vielmehr, daß einer sät, ein anderer aber erntet (vgl. Joh 4,37). Birgitta ist der tief in die Erde gesenkte Sockel, auf dem dann die leuchtende Gestalt der hl. Katharina von Siena ihren Platz finden wird.

Am 27. Juli 1373 wurde die Verewigte unter ungeheurem Menschenandrang in der Kirche San Lorenzo in Panisperna beigesetzt. Fünf Wochen danach beschloß die kleine schwedische Gemeinde in Rom, ihren Leichnam in ihre Heimat zu überführen. Überrascht stellte man fest, daß alle Weichteile bereits verwest waren. Nachdem alles Nötige vorgesehen war, konnte der Reliquienschrein am 2. Dezember 1373 Rom verlassen. Die Reiseroute führte auch durch Kärnten, die Steiermark und Nieder-österreich über Brünn nach Danzig. Dort blieben die sterblichen Überreste Birgittas längere Zeit hindurch ausgestellt, bedingt durch die Schwierigkeit, das Baltische Meer im Winter zu überqueren. Am 4. (5.?) Juli 1374 langte der Zug dann in Vadstena an. Birgitta fand in der sog. “Blaukirche”, die heute der schwedischen Staatskirche zugehört, ihre letzte Ruhestätte, von Lutheranern und Katholiken hochgeehrt.

Die Kanonisationsbulle weist auf die inzwischen geschehenen Wunder hin:

Durch die Verdienste dieser heiligen Witwe hat der allmächtige Gott den Tauben die Ohren geöffnet, den Stummen die Zunge gelöst, den zitternden Gichtbrüchigen Stärke, den Gekrümmten eine gerade Haltung, den Lahmen und Schwachen die Wohltat frei zu gehen und den Blinden das Augenlicht gegeben...

Diese Bulle “Ab origine mundi” datiert vom 7. Oktober 1391 und ist gezeichnet von Papst Bonifaz IX.

Der schriftliche Nachlass

Die “merkwürdigste Frau der Geschichte” (F. Heiler), die erste “grande Dame” der Renaissance in Italien (G. Kranz), hat ein reiches schriftliches Erbe hinterlassen, wobei die “Offenbarungen” (“Revelationes caelestes”) die Hauptmasse der Texte ausmachen. Neben drei umfangreicheren Visionstexten zählt man etwa 600 kürzere Offen-barungstexte, die ursprünglich in altschwedischer Sprache niedergeschrieben wurden, im Original aber nur fragmentarisch erhalten geblieben sind. An zweiter Stelle ist die “Regula Sanctissimi Salvatoris” zu nennen, die Regel der Birgittinnenklöster, sodann die “Engelsrede” (“Sermo Angelicus”) – liturgische Lesetexte unter besonders maria-nischem Aspekt –, und schließlich eine Reihe von Gebeten, deren Autorenschaft freilich nicht unumstritten ist.

Die Verbreitung der Offenbarungstexte, zumeist Auditionen, geschah auf göttliche Anordnung:

Ich rede mit dir nicht nur deinetwegen, sondern auch wegen des Heiles anderer.

Sie selbst nannte sich einmal einen einfachen Boten, der eines hohen Herrn Brief trägt, in dem wichtige Angelegenheiten behandelt werden.

Das machte aber auch die Übersetzung der Texte in das Lateinische notwendig, die Birgitta ihren Beichtvätern Petrus von Skänninge und Petrus Olafsson von Alvastra anvertraute. Die Prophetin erwarb aber auch selbst Lateinkenntnisse, vor allem, um diesen Übersetzungsvorgang überwachen zu können. Die eigentliche redaktionelle Ordnung der Revelationes jedoch besorgte der bereits genannte Bischof Alfonso de Vadaterra, der auf sein spanisches Bistum Jaën resigniert hatte und in der Absicht, Augustinereremit zu werden, nach Rom gekommen war, sich aber hier Birgitta angeschlossen hatte. Seine Einteilung und Zusammenstellung der Texte ist weder rein chronologisch noch streng systematisch. Zusätze und Erklärungen (sog. “Decla-rationes”), die manchen Offenbarungen beigefügt sind, stammen von Petrus von Alvastra, der auch nach Birgittas Tod, um 1380, die bei der ersten Redaktion noch nicht erfaßten und berücksichtigten Offenbarungen eigens zusammengefügt hat – als “Revelationes extravagantes” auch von der hl. Katharina als echt bezeugt. Die erste Drucklegung all dieser Offenbarungen erfolgte 1492 in Lübeck (editio princeps).

Alle diese Visionstexte wollen nicht als wortwörtliches göttliches Diktat nach Art einer Verbalinspiration verstanden werden, wie wir sie nicht einmal für die Evangelien so annehmen. In der Kanonisationsbulle Bonifaz IX. wird die inhaltliche Orthodoxie der Offenbarungen hervorgehoben:

Soweit es menschliche Gebrechlichkeit zuließ, wußte sie (=Birgitta) alles richtig zu unterscheiden und nannte das Gute nie böse und das Böse nie gut. Auch machte sie nicht Finsternis aus Licht, noch Licht aus Finsternis ...

Doch Jesus selbst weist einmal darauf hin, daß seine göttlichen Worte an Birgitta ein menschliches Kleid hätten:

Ich bin wie ein Schreiner, der im Wald Holzstücke fällt, sie nach Hause trägt und ein schönes Schnitzwerk daraus verfertigt, das er mit Farben und figürlichen Konturen schmückt. Wenn seine Freunde nun sehen, daß das Schnitzwerk mit noch schöneren Farben geschmückt werden könnte, so setzen sie auch noch ihre Farben darauf und malen dieselben darüber. So habe ich, Gott, aus dem Wald meiner Gottheit Meine Worte gehauen und sie in dein Herz gelegt. Meine Freunde haben nach der Gnade, die ihnen gegeben war, diese Worte zu Büchern zusammengefügt, sie bemalt und verziert.

Aus diesem etwas ungewohnten Bild wird der Anteil der übersetzenden und redaktionellen Arbeit der Priesterfreunde Birgittas deutlich. Manches, was Birgitta gehört hat, wird auch Frucht ihres Meditierens, der Niederschlag ihrer Lektüre oder der gehörten Predigten gewesen sein. Die Grenzlinie zwischen frommer Betrachtung und übernatürlicher Vision läßt sich nicht in Schärfe ziehen.

Mein Geist überläßt zuweilen Meine Auserwählten sich selbst, damit sie Meine Worte in ihrem Herzen wie auf einer Waage abwägen und erörtern, auch nach langem Überdenken dieselben deutlicher auslegen und das Beste herausholen

Es kam auch vor, daß Birgitta nach eigener Auskunft die gehörten Worte vergaß und nur deren Inhalt im Gedächtnis behielt.

Es verwundert nicht, daß die Seherin und mit ihr ihre Offenbarungen schon zu Lebzeiten Zeichen oft heftigen Widerspruchs waren. Der Dominikanerprior Kettilmund von Skänninge etwa verkündete von der Kanzel, was er von diesen Offenbarungen hielt; sie seien nichts als Täuschung, Träumerei und Einbildung. Henrik Schück, ein Autor des 20. Jahrhunderts, sprach von einer krankhaft erhitzten Phantasie, die durchaus zu heilen gewesen wäre, hätte sich Birgitta an eine passende Diät gehalten, und der Dichter Strindberg sieht in ihr eine ungebärdige Frau, eine herrschsüchtige Emanzipierte... Manche rieten Birgitta schon damals wohlmeinend, sie sollte mehr schlafen und besser essen und trinken. Sie solle zuhause bleiben, sagten andere, anstatt Unfrieden zu stiften. Wenn Gott sich offenbaren wolle, gäbe es dafür nicht genügend Priester und Mönche? König Magnus II. sagte einmal zu Birgittas Sohn Birger, er sei gespannt, was seine liebe Verwandte wohl heute Nacht wieder geträumt habe. Die Söhne der Herzogin Ingeborg nennen sie einmal eine “geschäftige Hexe”. In Rom wurde sie einmal damit bedroht, sie verbrennen zu lassen; auf Zypern hieß, sie sei una mente capta (eine Verrückte). Nach ihrem Tod predigte ein Dominikaner gegen die Revelationes und verlangte, sie müßten verbrannt werden. Allerdings hatte Birgitta die schwedischen Dominikaner ihrerseits einer scharfen Kritik unterzogen; sie warf ihnen Pflichtverletzung und ehrgeiziges Streben nach Kirchenämtern vor.

Heute sind sich so gut wie alle darüber einig, daß diese ganz praktisch veranlagte Hausfrau und Mutter von 8 Kindern alles andere war als der Typ einer Hysterikerin oder Neurotikerin. Birgitta sprengt diese allzu natürlichen Verstehenshorizonte und spottet dieser Klischees. In ihrer Einmaligkeit überragt sie alles bürgerliche Begreifen. Die Kirche hat, als sie die Heiligkeit der nordischen Seherin prüfte und anerkannte, im ganzen auch die “Authentizität ihrer inneren Erfahrung insgesamt” gebilligt, “auch ohne sich zu den einzelnen Offenbarungen zu äußern”. Das will sagen, daß der Inhalt der Texte im Detail durchaus diskutiert werden kann und darf, “denn auch die Erfahrungen der großen Heiligen sind nicht frei von jenen Grenzen, die den Empfang der Stimme Gottes durch den Menschen immer begleiten” (Papst Johannes Paul II.). Im Ganzen aber ist der Botschaft Birgittas tiefer Respekt zu zollen, in ihren aktuellen Bezügen ist das durch sie vermittelte Offenbarungswort demütig zu würdigen und theologisch noch viel tiefgehender auszuwerten, als dies bisher geschehen ist.

Eine solche theologische Auswertung kann natürlich hier nicht in ent-sprechender Weise erfolgen. Wir müssen uns mit einem einzigen kleinen Hinweis, der der Herz-Jesu-Verehrung Birgittas gelten soll, begnügen.

Schon eine erste Begegnung mit den diesbezüglichen Textstellen im Gesamten der Offenbarungen zeigt, daß das Herz Jesu in engster Verbindung mit dem Herzen Mariens gesehen wird. In einer Anrede der Gottesmutter an Birgitta offenbart Maria, daß sie die Glieder Jesu fast wie ihre eigenen Glieder betrachtet hätte und sein Herz wie ihr Herz.

Denn wie andere Kinder unter dem Herzen ihrer Mutter zu sein pflegen, so war Er unter meinem Herzen, aber in viel tieferer Weise... Er war wirklich wie mein Herz. Darum hatte ich, als Er von mir geboren worden war, die Empfindung, als ob gewissermaßen die Hälfte meines Herzens geboren worden und von mir gegangen wäre ...

Maria identifiziert sich dann ganz mit ihrem leidenden Sohn:

Sein Schmerz war mein Schmerz, weil Sein Herz mein Herz war,

auch ihr Herz wurde deshalb gegeißelt und gestochen, als Er gegeißelt und gestochen wurde.

Christus bestätigt dies, indem Er sagt:

Ihr Herz war gleichsam Mein Herz. Darum kann ich wohl sagen, daß Meine Mutter und ich die Menschen gleichsam mit einem Herzen erlöst haben; Ich durch Mein inneres Leiden im Herzen und durch Mein äußeres Leiden im Fleisch, – sie aber durch den Schmerz des Herzens und durch die Liebe.

Maria sagt dasselbe:

Filius meus et ego redemimus mundum quasi cum uno corde.

Hier ist also deutlich die Wahrheit von der Corredemptrix (Miterlöserin) formuliert, das Mitwirken Mariens durch Anteilhabe (participatio) an den Leiden Christi.

Diese Herzenseinheit im Wollen dauert im Himmel fort. Maria weist Birgitta darauf hin,

daß jegliches Lob meines Sohnes auch mein Lob ist. Was Ihn beleidigt, beleidigt auch mich, denn ich habe Ihn so innig geliebt und Er mich, daß wir beide gleichsam ein Herz waren ...

Patronin Europas

Die Heiligen nehmen ihre Sendung, mit der sie Gott auf Erden betraut hatte, in den Himmel mit und gehen ihr nun “vom anderen Ufer aus” nach. Ihr Auftrag ist nicht abgeschlossene Vergangenheit, das heißt, daß die Anschauung Gottes in Seligkeit die hl. Birgitta nicht uninteressiert sein läßt am Schicksal der europäischen Völker und sie nicht in ihrer Tätigkeit behindert. Die Seligen sind ja der Quelle allen kirchlichen Tuns, soferne es authentisch ist, in größtmöglicher Weise nahe, und Gott ist es, der durch sie spricht und handelt. Als Causa instrumentalis, als lebendiges Werkzeug in der Hand Gottes wird Birgitta sich auch weiterhin um die Reinheit der Kirche bemühen.

Das ist es wohl, was den Kern ihrer Sendung ausmacht. Nie hat die Prophetin aus Schweden nach einer “Änderung des Systems” verlangt oder neue Strukturen der Kirche gefordert; aber unablässig hat sie im Stil alttestamentlicher Propheten und in letzter Eindringlichkeit die Bekehrung aller eingemahnt, der Größten und der Kleinsten, von Hirten und Herde, von Haupt und Gliedern, und sich dabei selbst nicht ausgenommen. Nie haben die überaus betrüblichen Beobachtungen kirchlichen Mißstandes sie zur Anklägerin werden lassen; anders als Martin Luther, der etwa 150 Jahre später in Rom auch nicht viel Gutes erleben konnte. Der Kampf gegen die Sünde machte sie überaus hellhörig und sensibel für die Passion Christi und die sich in ihr offenbarende Liebe des Blutbräutigams seiner Kirche. Das Kreuz dürfe nicht um seine Kraft gebracht werden; diese Überzeugung teilte sie mit dem hl. Paulus, und der Verrat am Kreuz erschien ihr als etwas vom Schlimmsten. Wenn auch die Passionsmystik in ihren Offenbarungen dominiert, so fehlt doch keineswegs die Brautmystik, die sie mit Christus auf die beglückendste Weise verbindet. Birgitta zählt zu jenen heiligen Frauen, die die Kirche an ihre ureigenste Erwählung erinnern, nämlich Braut Christi zu sein, eine Erwählung zur Brautschaft, die nicht nur der Kirche im allgemeinen gilt, sondern als Inhalt des Taufgeheimnisses auch jedem einzelnen Glied der Kirche geschenkt ist. So ist es nur recht, daß der Heilige Vater in einem geistlichen Vertrag mit Birgitta, einem “contratto spirituale”, der Heiligen nicht nur ihr Heimatland Schweden anvertraut hat, sondern ganz Europa. So darf und soll auch die Kirche in Österreich die Heilige bitten, sie möge ihr zur Bekehrung verhelfen, sie möge uns nicht schonen, sie möge uns die Augen öffnen und alles Gottwidrige beim Namen nennen und dabei nicht müde werden.

Die Beschäftigung mit der hl. Birgitta, das Lesen ihrer Texte und die Akzeptanz ihrer geistlichen Führung wurde von Christus selbst mit einer Verheißung bedacht:

Du sollst ganz zuverlässig wissen, daß die Worte, die du aus Meinem Mund fortan vernehmen wirst, für alle, die Mich zu lieben verlangen, einem süßen Trank gleichen werden, der ihren Durst stillt. Die in der Liebe Erkalteten werden durch diese meine Worte wieder erwärmt, die Betrübten getröstet und die Schwachen gestärkt werden.

Literatur

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